Dirk Niebel überrascht als Entwicklungsminister

Unter der Regierung von CDU/CSU und FDP werden Außen- und Entwicklungspolitik künftig von der FDP geführt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bleibt als eigenständiges Ministerium erhalten. FDP-Generalsekretär Dirk Niebel (http://www.dirk-niebel.de) wurde neuer Entwicklungsminister, obwohl er dieses Ressort eigentlich abschaffen wollte. Gleichzeitig übernahmen zwei weitere Parteifreunde Verantwortung: Gudrun Kopp (http://www.gudrun-kopp.de) als Parlamentarische Staatssekretärin, Hans-Jürgen Beerfeltz (http://beerfeltz.de) als beamteter Staatssekretär. Es heißt, Niebel werde im BMZ auch Abteilungsleiter austauschen und Gefolgsleute aus der FDP-nahen Naumann-Stiftung installieren.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP (http://www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cducsu-fdp.pdf) enthält bereits Hinweise auf die künftige Ausrichtung der deutschen EZ: Eine nachhaltige Bekämpfung der Armut im Sinne der Millenniumserklärung ist das Ziel der deutschen Entwicklungspolitik. Die Entwicklungszusammenarbeit soll sich künftig auf die Schlüsselsektoren gute Regierungsführung, Bildung und Ausbildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz sowie die wirtschaftliche Zusammenarbeit konzentrieren. Die Stärkung von guter Regierungsführung, Eigenverantwortung und der Selbsthilfekräfte in den Entwicklungsländern werden als zentrale Bestimmungselemente der Entwicklungspolitik bezeichnet. Kirchen, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NRO) sollen gestärkt; mit der deutschen Privatwirtschaft soll enger kooperiert werden.

Die quantitative Vorgaben für die Erreichung der globalen Ziele festlegen, finden im Koalitionsvertrag allerdings keine Erwähnung. An dem Ziel, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als offizielle Entwicklungsleistungen (ODA) zur Verfügung zu stellen, wird festgehalten, allerdings ohne zeitliche Festlegung auf das Jahr 2015. Man will sich diesem Ziel “verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushaltes annähern.“ Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit – so der Koalitionsvertrag – müssen besser aufeinander aufbauen und optimal ineinander greifen. Bei entwicklungspolitischen Entscheidungen sollen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, angemessen berücksichtigt werden.

Niebel sagte dem in Konstanz erscheinenden “Südkurier“ (Montag), es sei kein Fehler, “wenn Entwicklungszusammenarbeit auch für deutsche Unternehmen von Vorteil ist.“ Er wolle deshalb, dass sein Ministerium “endlich wegkommt von dem Ruf eines Armutsministeriums.“ Die Länder, mit denen Deutschland kooperiere, müssten endlich in die Lage versetzt werden, eigenständig agieren zu können. “So dass sie ohne Hilfe anderer auskommen und echte Partner für uns werden, auch wirtschaftliche“, sagte Niebel. Quelle: Südkurier http://www.presseportal.de/pm/61201/1508126/suedkurier. Während seines ersten großen öffentlichen Auftritts im Amt hat Niebel angekündigt, in der Entwicklungszusammenarbeit stark auf das Instrument der Mikrofinanzierung zu setzen. http://tinyurl.com/y8fcoj5

Mit der Ankündigung, er werde China die Entwicklungshilfe streichen, hat Niebel einen Tag nach der Übernahme des BMZ die Bühne betreten und publikumswirksam Schlagzeilen gemacht. Niebel kündigte an, die Entwicklungszusammenarbeit mit allen Ankerländern auf den Prüfstand zu stellen “also auch mit Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika“.
Quelle: FR online, http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/?em_cnt=2048882&

Niebel räumte im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt (http://tinyurl.com/yzc6e5s) ein, dass er mit einem Scheitern der Verhandlungen in Kopenhagen rechnet. Darauf hagele es Kritik von allen Seiten. Für die Vorsitzende der Grünen, Claudia Rot, ist Niebel “eine der brutalsten Fehlbesetzungen, die man sich überhaupt in einem Entwicklungsministerium vorstellen kann.“ (http://tinyurl.com/y9kzsv9) Einen “schlechten Scherz“ nennt der SPD-Entwicklungspolitiker Sascha Raabe die Personalie Niebel, eine “unverfrorene Provokation“ die Grüne Ute Koczy. Für viele in der Szene ist die Entscheidung fast die Umsetzung des liberalen Wahlziels: die Auflösung des Ministeriums als eigenständiges Ressort (taz.de http://tinyurl.com/yhgcs7j). Wenigstens Sänger Bob Geldof hält Dirk Niebel für kompetent und hofft auf mehr Geld für Afrika. http://tinyurl.com/yflp895

Bei NRO sind die entwicklungspolitischen Aussagen des Koalitionsvertrags mit Zurückhaltung aufgenommen worden. Zwar begrüßte die Vorsitzende des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO), Claudia Warning, den Erhalt des BMZ als eigenständiges Ministerium. Es sei aber fraglich, ob die Eigenständigkeit in der nun beschlossenen Konstellation gestärkt werde. Wenn die Liberalen es mit der Kohärenz ernst meinen, dann sollte auch das Außenministerium das Anliegen der Armutsbekämpfung stärker mittragen“, forderte VENRO-Vorsitzende Claudia Warning. “Vor allem sollte verhindert werden, dass das BMZ zur Außenstelle des AA umfunktioniert wird. Kritisch zu bewerten sei, dass laut Koalitionsvertrag entwicklungspolitische Entscheidungen die Interessen der deutschen Wirtschaft berücksichtigen sollen. Die Aufgabe des BMZ, so Warning, ist die weltweite Armutsbekämpfung und nicht die Außenwirtschaftsförderung. http://www.venro.org/fileadmin/Presse-Downloads/2009/Oktober_2009/PM-32-2009.pdf

Katholische wie evangelische Kirche hielten an einem umfassenden Ansatz der Entwicklungspolitik fest, sagte der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten. “Wir warnen deshalb davor, das Engagement in Ländern wie China oder Indien zurückzufahren.“ http://tinyurl.com/yjr7qme

Wie durchsetzungsstark Niebel die deutsche Entwicklungshilfe umkrempeln kann, wird sich bei der lang angemahnten institutionellen Reform zeigen. Innerhalb des ersten Jahres dieser Legislaturperiode soll eine Reform der Durchführungsstrukturen durch eine Zusammenführung der Organisationen der Technischen Zusammenarbeit (TZ) auf den Weg gebracht werden. Was Wieczorek-Zeul trotz Koalitionsbeschluss unter Schwarz-Rot nicht geschafft hat, steht auch in dieser Legislaturperiode auf der Agenda: die Fusion der staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen KfW und GTZ. Eine Operation, deren Notwendigkeit eigentlich alle einsehen – weil die deutsche Entwicklungszusammenarbeit effizienter und besser koordiniert werden muss.
Erste Presseschau:

“Minister in Abwicklung“, von J. Frank und T. Schwab, FR-online, http://tinyurl.com/yh9f5ra
“Erst denken, dann reden. Der neue Entwicklungsminister Dirk Niebel will sinnlos in Asien sparen – und schadet deutschen Interessen“, DIE ZEIT, http://www.zeit.de/2009/46/Argument-Entwicklungshilfe
“Entwicklungsminister beruhigt Mitarbeiter“, von Vera Gaserow, FR-online, http://tinyurl.com/yhd9ub3
“Entwicklungsminister Niebel? Peinlich“, von Luise Strothmann, taz.de, http://tinyurl.com/yz954xv
“Ministerial – und ganz egal“, von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, http://www.sueddeutsche.de/politik/162/492518/text/
“Niebel im Nebel“, von Reinhard Umbach, Die Wahrheit auf taz.de, http://www.taz.de/1/wahrheit/artikel/1/-f07ae8c77d/

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