Ausbeutung von Textilarbeiterinnen in Bangladesch ist weiter in Mode

Hamburg, 05.11.2014 | Das Eine Welt Netzwerk Hamburg sprach mit der Aktivistin und Forscherin Dr. Samina Luthfa über die aktuelle Situation der Textilarbeiterinnen und deren Zukunftsperspektive in Bangladesch. Die Lage der Textilarbeiterinnen in Bangladesch ist immer noch prekär. Internationaler Druck hilft und muss von NRO und Gewerkschaften verstetigt werden. Problem ist das Versagen des Staates und des Arbeitgeberverbandes.

Die Soziologin der Universität Dhaka ist auf Einladung des Entwicklungsforums Bangladesch e.V. http://www.entwicklungsforum-bangladesh.org in Deutschland, um die Arbeitsbedingungen der globalisierten Textilindustrie bekannt zu machen und um Verbündete im Kampf für verbindliche internationale Arbeits- und Sozialstandards zu gewinnen.


Wo ist der Staat, wenn Hilfe gebraucht wird? Fabrikeinsturz in Sabhar am 24. April 2013.
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EWNW: Wir erinnern uns an die schockierenden Bilder im April 2013 vom Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Sabhar, einem Vorort von Dhaka. Funde belegen, dass dort Hersteller produzieren ließen, die auch in deutschen Läden Textilien anbieten. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der mehr als 1100 Getöteten und den 2500 Verletzten. Wie geht es diesen Menschen jetzt?

Samina Luthfa: Die Rehabilitierung der Verletzten war sehr schwierig gewesen. Es gibt nicht einmal eine vollständige Liste der Opfer. Der Staat zeigt überhaupt keine Verantwortung. Bereits am Tag der Katastrophe waren die staatlichen Stellen überfordert. Außer der örtlichen Feuerwehr und der Zivilverteidigung kamen keine geschulten Einsatzkräfte an die Unglücksstelle. Das Militär war da. Aber sie hatten keine geeigneten Geräte zur Bergung der Opfer. Tausende Menschen kamen spontan zur Hilfe, bargen Opfer, versorgten die Verletzten und räumten Trümmer. Niemand war dafür qualifiziert.

Hunderte Näherinnen verloren Gliedmaßen. Viele werden nie mehr arbeiten können. Überlebende und auch Helfende sind traumatisiert, bräuchten psychologische Behandlung, für die sie aber kein Geld haben. Sie gehen nicht zum Arzt, sondern kaufen Antidepressiva auf dem Markt. Vorgestern starb eine Arbeiterin an den Folgen eines nicht behandelten Leberrisses. Viele erhielten kein Geld, da sie vom Arzt nicht als verletzt deklariert wurden.

Die Opfer und Hinterbliebenen sollen angemessene Entschädigungszahlungen durch das Rana Plaza-Arrangement erhalten. Kommt das wirklich an?

Die vielen Hilfsgelder kommen in meisten Fällen nicht an. Zahlreiche meist neu gegründete NGOs haben Spendenmittel bekommen, aus dem Arrangement und viel auch von der Diaspora, aber das ist für die Opfer nicht transparent. Wir fragen uns, wo das Geld ist.

Am Tag nach dem Einsturz war ich mit meinem Forschungsteam auf dem ebenfalls einsturzgefährdeten Nebengebäude. Wir sahen, wie dicht die Stockwerke nebenan zusammengefaltet waren. Die Erinnerung an den Leichengestank kommt mir immer wieder hoch. Wir fanden herübergewehte Personalakten. Dort war die Anwesenheit der Näherinnen genau verzeichnet, sogar mit Datum der letzten Menstruation. Offenbar mussten alle Näherinnen bei Eintritt gleich ihre Kündigung unterschreiben, wobei der Arbeitgeber hinterher das Datum einsetzen kann. Wir haben die Unterlagen gesichert und den Behörden übergeben. Einige Unternehmen behaupten immer noch, keine Personallisten gehabt zu haben.

Ich traf einen 22-jährigen Freiwilligen, der die Identifizierung der Toten allein organsierte. Er ließ die Leichen im Schulhof nebenan stapeln und führte Angehörige hindurch. Er hat das großartig organisiert, aber niemand hilft ihm, diese traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten. Manche Angehörigen haben ihre Toten mitgenommen, viele Leichen wurden aber auch anonym bestattet. Ohne Totenschein gibt es aber keine Entschädigungszahlungen. Die für DNA-Analysen zuständige Stelle kommt mit der Identifizierung nicht hinterher. Noch immer werden ca. 112 Personen vermisst. Es wurden ca.300 identifizierte Leichen bestattet. Die Regierung zahlt jetzt für DNA-Analysen der Überreste. Sie leistet aber nicht annähernd, was ein Staat tun muss.

Wie hat sich die Lage in den Textilfabriken in Bangladesch seit Rana Plaza verbessert?

Die neuen internationalen Vereinbarungen sind der richtige Weg. Im weltweiten Textilmarkt wird die soziale Verantwortung entlang der gesamten Lieferkette im Rahmen von von Corporate Social Responsibility (CSR) stärker in den Vordergrund gestellt. Die Industrie kann nur wachsen, wenn sie die Standards erfüllt. Die kleinen informellen Nähereien mit ihren prekären Zuständen werden vom Markt gedrängt werden.

Der Arbeitgeberverband Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA) wird seiner Verantwortung auch nicht gerecht. Der Verband bekämpft den Bangladesch Accord als imperialistische Einmischung in nationale Angelegenheiten. Die Arbeitgeber haben nicht verstanden, dass Sozialstandards zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen und ihrer Branche nützen würden.

Als die lokale Polizei und verantwortlichen Ingenieure am Tag vor der Katastrophe das Gebäude wegen der Risse in den Betonwänden sperren wollte, zwangen die Unternehmen die Angestellten zur Arbeit hinein. Begründung: Wer auch nur einen Tag krank ist, bekommt den Monatslohn nicht rechtzeitig. Sie haben keine Ersparnisse und andere soziale Absicherung, damit sie ihre laufenden Kosten abdecken können.

Die Näherinnen sind auf pünktliche Lohnzahlungen angewiesen, die sie bei einem Fehltag verloren hätten. Das Gebäude gehörte einem Politiker. Die Kontrollbehörden werden bestochen. Der Staat setzt sich bei uns nicht gegen die Industrie durch. Druck aus dem Ausland ist nötig.

Nach Rana Plaza wurden in Bangladesch 18 gefährdete Fabriken geschlossen. Beschäftigte der Textilindustrie dürfen sollen sich zukünftig in unabhängigen Gewerkschaften zusammenschließen und Lohnverhandlungen führen. Aber die Näherinnen sind unerfahren und scheu. Die Partizipatorische Action Komitee (Ersatzgewerkschaften) sind oft arbeitgeberfreundlich. Aber jetzt beim Streik bei der Tuba Gruppe im August wurde eine gelbe Gewerkschaft (nicht von der Textilfabrik) durch eine aktive neue Bewegung ersetzt, die mit einem Hungerstreik Erfolg hatte.

Außerdem wurde nach Rana Plaza beschlossen, den Mindestlohn zu erhöhen. Nun prüft eine Regierungskommission die geforderte Erhöhung auf 8.000 Taka (80 Euro). Die meisten erhalten den Mindestlohn, der 2010 nach monatelangen Protesten auf 3.000 Taka (knapp 30 Euro) erhöht worden ist. In einer wissenschaftlichen Studie der Universität Dhaka haben wir aber festgestellt, dass 39% der Befragten unter Mindestlohn bezahlt werden. Die Arbeitgeber haben zur untersten Lohngruppe der "Helper" jetzt noch den "Apprentice Helper" erfunden, für die bis zu sechs Monate lang kein gesetzlicher Lohn gezahlt werden muss.

Wir haben insgesamt 1013 Beschäftigte in allen 12 Branchen der BGMEA befragt. Etwa 60% gaben an, sich jetzt in den Fabriken sicher zu fühlen. Der Brandschutz wurde etwas verbessert. Viele Feuertreppen sind in schlechtem Zustand. Immer noch münden viele Fluchtwege in Lagerräumen, die meist zuerst Feuer fangen. Aber die vorher verbreitete Praxis, die Tore der Fabriken während der Schicht von außen zu verriegeln, wurde in Bangladesch abgeschafft. Bei den großen Fabriken spürt man also die Verbesserungen. Problem sind die kleinen teils informellen Saisonbetriebe

Die befragten Näherinnen klagten vor allem über Kopfschmerzen. Sie entstehen durch den Lärm, aber auch durch Schlafmangel. Das Arbeitspensum und die Körerhaltung dabei sind belastend. Die Masse der Näherinnen kommt sehr jung vom Land in die Industriebezirke. Neben den langen Schichten kostet auch der Feierabend dort Kraft. In den Unterkünften müssen sich mehr als 20 Frauen eine Toilette und eine Küche teilen. Einige Näherinnen könnten Vorarbeiterinnen werden, mehr Aufstiegschancen gibt es aber in dieser Industrie nicht, es gibt keine Fortbildung. Kaum jemand unter den Befragten war länger als sieben Jahre im Job. Ab Mitte 30 hält man das körperlich einfach nicht durch, auch wegen der Augenleiden.

Sie bilden in Dhaka Studierende in Soziologie aus. Was lernen sie?

Unsere Universität ist total überfüllt. Zu allen Veranstaltungen kommen mehr als 200 Studierende. Mit ihnen können wir natürlich solche große Befragungen umsetzen. Nach dem Einsturz der Rana Plaza sind viele Studierende mit mir zur Hilfe geeilt. Sie organisierten die Betreuung der Angehörigen, die oft aus ländlichen Gegenden anreisen mussten und logistische Hilfe brauchten, um zum Beispiel eine Duschgelegenheit zu finden. Manche helfen jetzt bei Behördengängen in Dhaka. Das war für die Studierenden eine praktische soziale Aufgabe. Es wurde in ein Buch mit Opferberichten erstellt. Es ist in bengalischer Sprache und wir suchen Mittel, es auf Englisch zu übersetzen.

Was erhoffen Sie sich von den NRO in Deutschland?

Erstens, dass wir Ideen über Gewerkschaftsbildung in Bangladesch austauschen.

Zweitens dass internationale NGOs ihre Arbeit in den verschiedenen Bereichen in Bangladesch mit den NGOs im Land koordinieren.

Drittens bekannt zu machen, dass die Regierung von Bangladesch ihre Aufgaben nicht erfüllt.

Das Interview führten Karsten Weitzenegger und Yannik Pein.

Hintergrund: Internationale Abkommen nach Rana Plaza

Das Rana Plaza-Arrangement

Das «Arrangement» ist ein Übereinkommen, welches die Entschädigung der Verletzten und der Opferfamilien des Rana Plaza Fabrikeinsturzes regelt. Das Übereinkommen wurde von der Clean Clothes Campaign http://www.cleanclothes.org mitinitiiert und wird, wie das Sicherheitsabkommen, von der ILO begleitet. Die bangladeschische Regierung, lokale sowie internationale Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen sowie die Textilfirmen haben das Arrangement unterzeichnet und sich damit verpflichtet, einen Beitrag an die Kompensation der Betroffenen zu leisten. Im Juni 2014 forderten Deutschland und sechs andere europäische Staaten alle Firmen mit Geschäftsbeziehungen zu Rana Plaza sowie die bangladeschische Regierung auf, einen substantiellen Beitrag an den Kompensationsfonds zu leisten. www.ranaplaza-arrangement.org

Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch

Das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch von 2013 (http://www.unibangladeshaccord.org/?lang=de, http://bangladeshaccord.org) ist ein umfassendes und unabhängiges Abkommen, mit dessen Hilfe alle Bekleidungsfabriken in Bangladesch zu sicheren Arbeitsplätzen gemacht werden sollen. Das Abkommen wurde von bangladeschischen und internationalen Gewerkschaften zusammen mit anderen Arbeitnehmergruppierungen konzipiert. Es ist das einzige Abkommen, das von allen wesentlichen arbeitsrechtlichen Interessenvertretungen unterstützt und von über 160 internationalen Markenherstellern und Einzelhandelsunternehmen unterzeichnet wurde. Sie verpflichten sich über fünf Jahre zu Investitionen in sicherere Fabriken. Unter den deutschen Unterzeichnen sind Adidas, Aldi, Esprit, Kik, Lidl, Metro, Otto, Puma, Rewe, S.Oliver, Takko, Tchibo (http://bangladeshaccord.org/signatories/). Wer genau wen beliefert, bleibt aber unter Verschluss. Die Kampagne für Saubere Kleidung, Oxfam und das Südwind-Institut haben die Standards wiederholt als zu lax kritisiert.

Bündnis für Nachhaltige Textilien

Das Bündnis für Nachhaltige Textilien ist Zusammenschluss von bisher rund 30 deutschen Unternehmen und Organisationen soll die Arbeits- und Lebensbedingungen in der Textilindustrie in Niedriglohnländern zu verbessern. Ziel sind neue ökologische Standards und ein besseres Leben für die Arbeiterinnen und Arbeiter der globalen Bekleidungsindustrie. Die Initiative wurde am 16. Oktober 2014 unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet. http://www.bmz.de/textilbündnis

Mehr dazu: Kampagne für Saubere Kleidung http://www.saubere-kleidung.de