
Ein Blick hinter die Kulissen der Hamburg Sustainability Conference
Hamburg wurde diese Woche Juni erneut zum globalen Zentrum der Nachhaltigkeitsdebatte. Die Hamburg Sustainability Conference (HSC) brachte hochrangige Entscheidungsträger*innen aus aller Welt – aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft – zusammen, um gemeinsam konkrete Lösungen für eine nachhaltige globale Transformation zu erarbeiten. Doch was genau steckt hinter diesem „UFO“, wie Moderator Stefan Engel die Konferenz liebevoll nennt, das Delegierte aus rund 100 Nationen nach Hamburg bringt? Im Rahmen eines HSBA Panel Events gab Dr. Imke Rajamani, Managing Director der Hamburg Sustainability Conference gGmbH, Einblicke in die Konferenz, ihre Ziele, Erfolge und die Herausforderungen bei der Umsetzung.
Dr. Rajamanis Beitrag, der als eine Art Einführung und Reflexion zur jüngsten Konferenz diente, gliederte sich in zwei Teile: die offiziellen, kommunizierbaren Ergebnisse und eine kritischere Betrachtung des Formats Konferenz und seiner Wirkung. Zunächst berichtete sie von der erfolgreichen zweiten Ausgabe der HSC, die 1600 Gäste vor Ort versammelte, bei 1800 Anmeldungen eine bemerkenswert niedrige „No-Show“-Rate aufwies und eine hohe Verbindlichkeit der Teilnehmenden zeigte, was auf starke Partnerschaften innerhalb der Community hindeutet.
Ein zentraler Aspekt der HSC ist ihre Zusammensetzung. Die Gäste sind in etwa zu je einem Drittel aus Politik/Administration/multilateralen Organisationen, Wirtschaft/Business/Verbänden und NGOs/Wissenschaft/Philanthropie vertreten. Diese intersektorale Vielfalt ist ein wichtiges Qualitätskriterium und einer der wichtigsten Ansätze der HSC. Bereits im Vorbereitungsprozess, der das ganze Jahr über läuft, wird darauf geachtet, dass die Konferenzinhalte in Kooperation mit mindestens zwei Sektoren erarbeitet und ein dritter Sektor in den Diskussionen beteiligt ist.
Die Auswahl der Themen und Formate auf der HSC erfolgt in einem kompetitiven Prozess und basiert auf Diversitäts- sowie Impact-Kriterien. Es wird geprüft, ob die vorgestellten oder diskutierten Themen voraussichtlich eine tatsächliche Wirkung entfalten können. Dabei verfolgt die Konferenz bewusst einen sehr globalen Ansatz, auch wenn dies manchmal für Hamburger Partner schmerzhaft ist, die lokale Relevanz suchen.
Um den Bedarf an Formaten mit direktem Impact für Hamburg zu decken, wurde bereits zur ersten Ausgabe der HSC in 2024 die Hamburg Sustainability Week (HSW) entwickelt. Diese Woche, die dieses Jahr erstmals unter dieser Marke stattfand, bietet eine eigene Bühne für lokale Initiativen und hat mit über 60 Partnern und rund 120 Veranstaltungen eine beeindruckende Breite erreicht.
Dr. Rajamani hob mehrere bedeutende Ergebnisse und Unterzeichnungsmomente der Konferenz hervor, viele davon als Weiterentwicklungen aus dem Vorjahr. Dies unterstreicht den Anspruch, Konferenz nicht als reine „Eintragspflege“ zu betreiben, sondern langfristige Initiativen zu fördern und „Greenwashing-Effekte“ zu vermeiden. Ein Beispiel ist die Hamburg Declaration on Responsible AI for the SDGs, die letztes Jahr vorbereitet wurde und nun mit über 40 Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnet wurde. Dies ist die erste globale Erklärung, die sich gezielt mit dem Einsatz von KI in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und gemeinsamen Standards befasst.
Eine weitere wichtige Entwicklung ist die Plattform Scaled (zuvor Hamburg Sustainability Platform), eine Investitionsplattform zur Mobilisierung privater Investitionen für nachhaltige Entwicklung. Die Idee ist, das Matchmaking zwischen Projekten, die Kapital benötigen, und Investoren zu verbessern, indem Daten besser aufbereitet werden und ein persönlicher „Concierge-Service“ zur Vernetzung angeboten wird.
Ebenfalls gegründet wurde die Global Alliance Against Inequality, die sich zum Ziel setzt, soziale Ungleichheit wieder stärker auf die globale Agenda zu bringen. Angesichts zahlreicher Krisen, die oft als „handfester“ oder „wirtschaftlicher“ gelten, war das Thema Ungleichheit etwas in den Hintergrund geraten. Die Allianz soll diese Frage nun wieder in laufende Diskussionen einbringen.
Zu den weiteren erwähnten Initiativen gehören ein neuer Biodiversitätsfonds der by Tray Foundation, die Erweiterung der Hamburg Declaration on Green Aviation und der Hamburg Declaration on Green Shipping um neue Unterzeichner. Aus letzterer hat sich ein ganzer Green Logistics Hub entwickelt, an dem sich große Unternehmen wie Kühne+Nagel und DHL, Flottenbetreiber, Reeder und Hafenorganisationen beteiligen, um sich mit nachhaltigen Kraftstoffen und Wasserstoffinfrastruktur zu befassen. Diese Initiative birgt große Hoffnung, da auch Regierungsvertreter aus mehreren Ländern beteiligt sind, die Infrastrukturentwicklung mit nationalen Geldern unterstützen.
Im kritischeren zweiten Teil ihrer Ausführungen stellte Dr. Rajamani die Frage, wozu es eigentlich eine Konferenz wie die HSC braucht, angesichts der Vielzahl globaler Konferenzen und des Reiseaufwands der Teilnehmenden. Die Idee zur HSC entstand aus der Beobachtung von Blockaden in aktuellen UN-Konferenzprozessen. Einerseits gebe es grundlegende, ungelöste Konflikte und ein starkes Ungerechtigkeitsempfinden bei Partnern in den Emerging Markets und Economies, die über ihr Aufhohlrecht im Kontext der Klimaverantwortung sprechen möchten. Dies kann konstruktive Diskussionen zu anderen Themen blockieren.
Eine weitere Blockade sah man in den „Blasen“, in denen Akteure oft getrennt voneinander agieren. Politiker geben die Schuld der Wirtschaft, die Wirtschaft der Politik, und die Zivilgesellschaft kritisiert beide. Die Gründungspartner der HSC (Ministerium, UN-Organisation, Stiftung, Stadt Hamburg) sahen den Mehrwert darin, ein Forum zu schaffen, das diese Blasen zusammenbringt, Vernetzung schafft und Akteure zur gemeinsamen Arbeit an konkreten Themen und Vereinbarungen motiviert. Dieser Kokreationsprozess sei allerdings sehr zäh.
Besonders relevant sei das Format Konferenz in der aktuellen Zeit, in der es einen unglaublichen Zusammenbruch im entwicklungspolitischen Bereich gibt. Der Rückzug der USA aus multilateralen Projekten, die chronische Unterfinanzierung von UN-Organisationen und die zunehmende Polarisierung führen nicht nur zum Zusammenbruch dieser Organisationen und der daran hängenden Entwicklungsprojekte und Märkte, sondern machen es auch kaum noch möglich, in UN-Konferenzen verbindliche Dinge für Nachhaltigkeit zu erreichen. Die HSC soll ein Ort sein, an dem diejenigen, die wirklich handeln wollen, zusammenkommen können.
Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen und der zunehmenden Polarisierung, die ein starker Bremser ist, versammelt die HSC eine Gemeinschaft von 113 Nationen, die über Fortschritte bei den SDGs bis 2030 sprechen und die aktuelle Krise als Chance für neue Partnerschaften sehen. Das wichtigste Key Takeaway für die Organisatoren sei, dass sie einen solchen Ort für eine Community geschaffen haben, die Nachhaltigkeit mit demokratischen Grundwerten voranbringen möchte, und sie hoffen, diesen Spirit auch über die HSW auf die Stadt zu übertragen. Abschließend stellte Dr. Rajamani Fragen zur Debatte, welche neuen Zukunftsbilder und Transformationsschritte für Hamburgs Zukunft 2045 nötig seien, die durch die HSC initiiert werden könnten.
Paneldiskussion: HSC-Ergebnisse aus Sicht der Wirtschaft – Treiber und Voraussetzungen für nachhaltigen Wandel
Im Anschluss an die Einführung von Dr. Rajamani fand eine Podiumsdiskussion mit Nachhaltigkeitsexpert*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft statt. Ziel war es, die zentralen Ergebnisse der HSC aus Sicht der Wirtschaft zu beleuchten und über Treiber und Voraussetzungen für einen effektiven nachhaltigen Wandel durch Unternehmen zu sprechen.
Die Diskutanten sahen einen großen Wert der HSC für Hamburg, insbesondere in der Sichtbarkeit nach außen und der Internationalität, die sie in die Stadt bringt. Angesichts der vielen global agierenden, auch kleineren „Weltmarktführer“ in Hamburg habe die Konferenz eine besondere Bedeutung. Die HSC und die HSW schaffen ein starkes Momentum und das Gefühl, dass viele Akteure im Nachhaltigkeitsbereich etwas bewegen wollen.
Gleichzeitig wurde die Impact-Frage aufgeworfen. Angesichts der eingesetzten Ressourcen (intellektuell, Kapazitäten, hochrangige Entscheidungsträger) müsse die Frage gestellt werden, wie nachhaltig im Sinne von anhaltend die Wirkung der Konferenz ist. Obwohl Initiativen wie Deklarationen langfristig angelegt sind, wurde der Wunsch nach mehr Sichtbarkeit für konkrete Commitments und messbare KPIs geäußert, auch wenn dies bei der Vielfalt der Akteure schwierig sei.
Aus Unternehmenssicht, vertreten durch Dr. Theresa Haller Mangold von Nextperia, sind sowohl Gesetzgebung als auch Kundennachfrage entscheidende Treiber für Nachhaltigkeit. Kunden von großen Unternehmen (wie Mitgliedern der Responsible Business Alliance) fordern Nachhaltigkeit ein, unabhängig von spezifischen Gesetzen wie Lieferkettengesetzen. Nachhaltigkeit wird als absolut businessrelevant betrachtet.
Eine zentrale Herausforderung für Unternehmen sei das Balancieren von Zielkonflikten, insbesondere zwischen Profit, People und Planet. Konkrete Beispiele betreffen soziale Themen, wie die Begrenzung von Arbeitszeiten (z.B. auf 60 Stunden pro Woche) in Lieferketten, auch wenn Arbeitskräfte in bestimmten Regionen mehr arbeiten möchten, um mehr zu verdienen. Eine Strategie zur Umsetzung und zur Überzeugung der Geschäftsführung ist die Durchführung von Risikobewertungen („What if not“), um die Notwendigkeit von Investitionen in Personal, Zeit oder Budget aufzuzeigen. Gesetzgebung mit klaren Konsequenzen (z.B. Strafzahlungen basierend auf Umsatz) könne hier sehr hilfreich sein, um die Umsetzung zu untermauern.
Auch die praktische Umsetzung auf lokaler Ebene wurde thematisiert. Die Handelskammer Hamburg setzt stark auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2040 und betrachtet dies explizit als Wachstums- und Chancenstrategie, nicht als Deindustrialisierung. Die HSC könne diese lokale Arbeit unterstützen. Bei der Messung des eigenen Nachhaltigkeits-Fußabdrucks stoßen Organisationen in historischen Gebäuden oder mit geteilter Infrastruktur auf Schwierigkeiten, da genaue Verbrauchszahlen nicht immer ermittelbar sind. Zudem wurde die Bürokratie bei bestimmten Zertifizierungen und Reporting-Pflichten als Hemmnis wahrgenommen, auch wenn man in der Umsetzung faktisch sehr nachhaltig agiert. Formate wie der „Future Economy Day“ auf der HSC könnten zukünftig stärker genutzt werden, um praktische Fragen und Initiativen Hamburger Unternehmen aufzugreifen und mit relevanten politischen Akteuren zu verknüpfen.